Galerie Dreikang
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Wanja Belaga

 
Warum Bach ein Gott ist, Lenin ein Teufel und was Hitler damit zu tun hatte



Meine deutschstämmige Mutter erzählte mir, dass  ich ein sehr unruhiges Baby war. Kaum eine Minute in der ich nicht nach Aufmerksamkeit trachtete, weinte oder schrie. Ich brachte sie an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Eine völlig unerwartete Hilfe kam vom alten Mono-Plattenspieler: Es fiel ihr auf dass die Kantaten J.S.Bachs eine erstaunliche Wirkung auf das hysterische Baby hatten. Kaum ertönten die geistlichen Werke des Thomaskantors in einer kratzigen Aufnahme aus den 50er Jahren  mit dem Leipziger  Thomanerchor  der befreundeten DDR, schon war es still, lächelte selig und schlief ein.
Die Musik des Kriegsfeindes Deutschland besänftigte den kleinen kranken Epileptiker und ließ die fünffache Mutter aufatmen. Später sollen angeblich  japanische Wissenschaftler  in  Versuchen eine ähnliche Wirkung auf Kühe und Hühner nachgewiesen haben.
Als ich etwa Vier war erinnere ich mich deutlich an das Portrait Bachs, welches in unserem bescheidenen Wohnzimmer  an der Wand fürstlich-erhaben prangte, mich in seinen Bann zog und immer wieder zu ihm aufblicken ließ. Das russische Wort für Gott ist „Boch“. Die himmlisch-barocken Locken, der gütige Blick, die schöne Musik die ich so liebte, all dies trug zu meinem tiefen Missverständnis bei und fortan hielt ich Bach für Gott. Und der war ein Deutscher. Da meine Eltern zum antikommunistischen Lager gehörten und als Dissidenten sehr schlecht über Lenin sprachen war es nur noch eine Frage der kindlichen Logik und mein Weltbild war perfekt: Bach war der deutsche Gott und Lenin der russische Teufel. Schon im Kindergarten fragte ich die anderen Kinder immer wieder ob sie an Bach-Gott oder aber an den Lenin-Teufel glaubten. Sie beantworteten diese Frage spontan und verprügelten mich. Ich erinnere mich deutlich wie ich laufe und keuche, alle anderen hinterher. Sie schreien abwechselnd „ Deutscher, Deutscher“ und „ Hitler, Hitler“, und meinen damit mich. Immer wieder drehe ich mich um und rufe „ nicht alle Deutschen sind Nazis! Und der Gott war  auch ein Deutscher!!“. Gut dass ich als Kind so schnelle Beine hatte.
Eine andere Episode. Mein einziger  Freund aus unserem Hof, der Dima kommt mit hoch, sieht diesen Bach an der Wand  und fragt verwundert: „wer ist das?“. Meine stolze Antwort: „ Das ist Gott, der deutsche Komponist“. Dimas lakonische Antwort: „ Faschist!“. Das irritierte mich sehr! war Gott ein Nazi? Waren die nicht alle klein, hatten sehr behaarte Beine und hießen Fritz, so wie in den Propagandafilmen aus dem Fernsehen?
Später als mir nicht nur meine deutsche Abstammung, sondern auch die jüdischen Wurzeln bewusst wurden erhielt mein trotziges Bewusstsein eine differenziertere Haltung zum Deutschen, die Liebe zu Bach überstand aber auch dies. Er ist mein Gott geblieben, wenngleich kein Götzen. Ich lebe jetzt in München und gelte als Russe, vielleicht mit ukrainischen, schwedischen und tatarischen Wurzeln…

 
 
Warum Bananen immer grün sind
 


Vielen ist das Titelbild aus der Titanic erinnerlich: „ Meine erste Banane“, ein ostdeutsches Mädchen mit einer wenig dezenten achtziger Jahre Dauerwelle hält eine geschälte Banane in der Hand. Stolz und richtig glücklich. Beschämend glücklich, für die dekadente westliche Jugend die sich zwischen Passionsfrucht und Mango nicht entscheiden konnte!
So schlecht hatten  wir Kinder des großen Bruderstaates  in Moskau es nicht. Es verging kaum ein Jahr, in dem nicht wenigstens ein Freundschaftsvertrag mit einem, na sagen wir mal ostafrikanischem Land uns eine Flut einer vorher völlig unbekannten Frucht bescherte. Wie zum Beispiel Kaki. Plötzlich, und ohne Vorwarnung schossen an jeder Ecke, jeder Kreuzung und Busstation Obststände aus dem Boden die nur ein einziges, schnell verderbliches Lebensmittel verkauften: die Kaki. Nur auf den ersten Blick eine Tomate, entpuppte sich diese Frucht als ein absoluter Verkaufschlager. Süß, etwas pelzig auf der Zunge, mit herzhaft-saftigem Fruchtfleisch.
Als Symbol der Völkerverständigung, und als Zeichen brüderlicher Solidarität  in roter Signalfarbe. Man konnte sich an ihr monatelang satt essen und sehen. So satt, dass aus Überfluss Überdruss wurde, und diese herrlichen Gaben der Natur in den Kioskauslagen verfaulten. Die Mangelgesellschaft widmete sich wieder dem Verzehr von Buchweizengrieß und Kartoffeln, und machte einen Bogen um das Symbol ewiger Freundschaft zweier ungleicher Völker. Die gelangweilten dicken Verkäuferinnen mit dem obligatorischen Kopftuch bettelten und buhlten  um Kundschaft. Gott sei Dank ging bald der Freundschaftsbund mit diesem fernen Land in die Brüche.
Ganz anders war es mit der Banane. Es gab sie selten, und wenn es sie gab, mussten die geduldigen Hausfrauen und Väter stunden in den schier unendlich langen Schlangen anstehen. So wie auch meine Mama. Als fünffache Mutter war sie Trägerin eines Ordens, und durfte sich als „Heldin russischer Nation“ anpreisen. Der Vorteil war dass sie damit  beim anstehen bevorzugt behandelt werden sollte, in der Theorie. In der Praxis jedoch hätte sie damit Spott und Wut anderer Leidensgenossen auf sich gezogen, und verzichtete auf das Herumwedeln mit diesem Schmuckstück. Durchgefroren, müde, aber voller Stolz trug sie die erstandenen Bananen nach hause und versteckte die Früchte stets ganz oben hinten auf dem Regal. Denn sie waren noch völlig grün und scheinbar ungenießbar. Natürlich entging uns fünf Kindern dieses geheime Versteck nicht, zu groß war die Versuchung, und Tag für Tag wurden die Bananen immer weniger. Wer würde schon merken ob es zwölf oder dreizehn Stück waren?  Wir schmökerten und schlemmten, litten unter Bauchkrämpfen und Durchfall. Und als der große Tag kam, bat uns die ehrsinnige Mama in die Küche und eröffnete uns im feierlichen Ton die frohe Kunde, dass es endlich soweit sei, und die Delikatesse zum Essen freigegeben. Mächtig war ihr Zorn, als sie mit den Händen tief ins Leere Regal griff.
Als wir in  Wien ankamen, sprang uns sofort die bunte Reklame der Handelskette „Billa“ ins Gesicht: „1 Kilo Bananen nur 3,99“, lautete das Angebot der Woche. Gleich am zweiten Tag unseres Aufenthalts in gelobten Westen stürmten wir zum Billa, und deckten uns gierig kiloweise mit Bananen ein. Erst da lernte ich dass sie erstens gelb sind, und zweitens schmackhaft und bekömmlich.

 

Wahre Demokratie
 


In der Bakuninskaja wohnte meine Tante. Die Straße liegt ganz im Zentrum von Moskau, nicht so am Arsch der Welt wie die uns zugewiesene Wohnung im „Otradnoe“, oder später im „Tjoplyj Stan“, beides Trabantenstädte an der Peripherie. In dem Haus meiner Tante lebte einst auch unsere Großmutter, und folglich verbrachte auch meine Mama dort ihre Kindheit. Es hatte ein wenig unter dem zweiten Weltkrieg gelitten; Die eine Hälfte stand noch, die andere hatte wohl eine Bombe erwischt. An sich aber ein schönes altes, halbes Haus.
Als meine Eltern wieder mal eine Scheidung vollzogen, oder aber einer der beiden aus politischen Gründen in die  Psychiatrie eingewiesen wurde, oder wenn wieder mal eine Hausdurchsuchung zu erwarten war, wohnte ich für eine Weile bei meiner Tante in der Bakuninskaja in der  kommunalen Wohnung. Sie logierte da mit zwei weiteren Mietparteien. Aber diese Menschen waren sehr alt und sind mir kaum in Erinnerung geblieben.
Schräg gegenüber stand ein anderes Haus nicht mehr: Eines Tages machte es bumm, und die Hauswände flogen durch die Gegend. Die Gasrohre hatten ein Leck, und ein Rentner zündete sich gerade eine Zigarette an. So was Dummes dachten wir Kinder uns, und phantasierten wild wie wohl der alte Greis durch die Wucht der Detonation aus dem 3.Stock geschleudert worden sei, während wir uns durch die Trümmer wühlten. Zugegeben nicht gerade pietätvoll, aber Kinder sind nun mal manchmal grausam.
Auf unserer Straßenseite befand sich auch eine Metzgerei. Ein lustiger Laden irgendwie, aber auch traurig. Selten verirrte sich ein Kunde hierher. Ich stand oft davor und bewunderte die „Doktorskaja“ in der Auslage, eine besonders beliebte und seltene Wurstsorte. Einsam und verlassen, ganz ohne Garnitur, nicht einmal mit einer Salami als Nachbar, offenbarte sie ihre fleischlichen Reize meinen kindlich-gierigen Augen. Überlegungen, ob sie wohl immer da lag, und wie alt sie war, oder ob sie gar wie der tote Lenin im Mausoleum halb aus Plastik oder Plastilin gemacht wurde, schossen durch meinen Kopf. Es wurde zum täglichen Ritual, wenn ich aus der Schule kam, nach ihrem Wohlergehen zu schauen. Ich bemerkte sofort wenn sich ihre Farbe leicht veränderte, wenn die Ränder ranzig wurden oder der Mantel nicht mehr so glänzend, gar eher matt erschien. Ich wusste sofort, dass jemand die Theke sauber gemacht hatte, wenn die Wurst ihre angestammte Position verließ und sich leicht quer liegend oder aber zu sehr im geraden Winkel befand. Nachts, wenn ich wieder mal nicht schlafen konnte, versuchte ich mir ihren Leidensweg als einsame Wurst vorzustellen. Die tägliche Langweile im verregnet -verschneitem November,  die sie ertragen musste, die immerzu düsteren und leeren Gesichter der vorbeieilenden Passanten mit den eingezogenen Schultern und den tief vorgebeugten Köpfen, die nur kurze, gleichgültige Blicke für dieses edle Fleisch übrig hatten.
Ich stellte mir das Panorama vor, welches die Wurst zu sehen bekam: speckig-spiegelndes Glas der Vitrine, dahinter graue Mäntel im vorbeihuschen, dann die seltenen Autos die dreckigen Schlamm auf den Bürgersteig spritzten, und schließlich die trostlose Hausruine gegenüber. Dann schlief ich beruhigt ein, ich war nicht allein und missverstanden auf der Welt gewesen.
Ich zog zurück zu meinen Eltern nach Hause und kam erst Monate später wieder. Als ich mich „meiner“ Wurst erinnerte und nach ihr schaute, erblickte ich ein unfassliches Bild. Hinter der gewohnt fettigen Glaswand lag sie wieder da, die Doktorskaja, aber nicht allein. Neben ihr residierte eine waschechte ungarische Salami in brüderlicher Eintracht, kleiner, dünner, aber im feurigen Salamirot! Endlich hatte ihre Einsiedelei ein Ende gefunden.
Heute wenn ich dass so erzähle fällt mir der ungarische Salamiwitz ein. Wissen sie was wahre Demokratie ist? Wenn sie zwischen zwei Wurstsorten wählen können. In diesem Sinne, guten Appetit!

 
 

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